Deutsche Bahn vor Doppelvakanz: Lutz-Abgang und schwierige Nachfolgesuche

Deutsche Bahn: Suche nach Lutz-Nachfolge – Doppelvakanz, Absagen & Favoritin Palla

DB-Chefsuche: Lutz geht – Doppelvakanz und interne Favoritin

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Der angekündigte Abschied von Bahnchef Richard Lutz setzt die Deutsche Bahn (DB) unter erheblichen Druck. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU) bestätigte am Donnerstag, den 14. August 2025, dass Lutz seinen Posten vorzeitig räumen wird. Dennoch soll der 61-Jährige den Konzern kommissarisch weiterführen, bis eine geeignete Nachfolge gefunden ist.

Diese Übergangsregelung soll einer möglichen Führungslosigkeit vorbeugen. Kritiker innerhalb des Unternehmens fragen jedoch, ob dieser Schritt tatsächlich notwendig ist – oder ob er eher den Eindruck einer verzögerten Neuausrichtung erweckt. Fest steht: Die Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden gestaltet sich schwierig, und die Bahn steht vor einer gleich doppelt anspruchsvollen Personalaufgabe.

Die zweite Vakanz: CFO-Posten ebenfalls unbesetzt

Neben der Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden muss die Deutsche Bahn auch die Position des Finanzchefs neu besetzen. Levin Holle, bisheriger CFO, wechselte vor Kurzem ins Bundeskanzleramt. Damit ist das Top-Management des Konzerns gleich in zwei Schlüsselpositionen unvollständig – eine Situation, die in der Unternehmensgeschichte der DB selten vorkommt.

Experten weisen darauf hin, dass gerade in einer Phase tiefgreifender finanzieller und struktureller Herausforderungen ein starker CFO unverzichtbar ist. Ohne diese Position fehlt dem Konzern nicht nur ein strategischer Sparringspartner für den CEO, sondern auch ein wichtiges Bindeglied zwischen Management, Aufsichtsrat und Politik.

Warum die Chefsuche so schwierig ist

Laut Informationen aus Bahnkreisen haben bereits mehrere externe Spitzenmanager eine Anfrage des DB-Aufsichtsrats abgelehnt. Unter den Absagen finden sich prominente Namen wie Peter Füglistaler, ehemaliger Chef des Schweizer Bundesamts für Verkehr, sowie Andreas Matthä, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), der in Kürze in den Ruhestand geht. Auch Michael Peter, Chef von Siemens Mobility, gilt als Wunschkandidat, doch ob Gespräche stattfinden, ist unklar.

Gründe für die Zurückhaltung externer Kandidaten sind vielfältig: Das Image der Bahn hat in den letzten Jahren gelitten, die politischen Einflussnahmen sind hoch, und der Spielraum für strategische Entscheidungen ist oft begrenzt. Zudem steht der Posten in der Öffentlichkeit unter ständiger Beobachtung – Erfolge werden schnell relativiert, Misserfolge dagegen stark betont.

Die interne Favoritin: Evelyn Palla

In dieser Gemengelage rückt eine interne Kandidatin immer stärker in den Fokus: Evelyn Palla, derzeit Vorständin für den Regionalverkehr. Die Südtirolerin hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie komplexe Geschäftsbereiche stabilisieren und zurück in die Gewinnzone führen kann.

Unter ihrer Leitung gelang es DB Regio, das operative Ergebnis nach Jahren der Verluste deutlich zu verbessern. Sie gilt als Finanzexpertin mit einem klaren Blick für Effizienzsteigerungen, gleichzeitig als nahbar und durchsetzungsstark. Branchenkenner halten sie für eine der wenigen Persönlichkeiten innerhalb des Konzerns, die sowohl die betriebliche Realität kennt als auch politische Schnittstellen professionell bedienen kann.

Dennoch soll Palla zunächst gezögert haben, sich offiziell um den Posten zu bewerben. Insidern zufolge könnte dies auch eine strategische Zurückhaltung sein – möglicherweise wartet sie ab, ob der Druck zur internen Besetzung weiter steigt.

Richard Lutz: Bilanz eines langen Mandats

Richard Lutz stand seit 2017 an der Spitze der Deutschen Bahn. Zuvor war er viele Jahre Finanzvorstand des Konzerns. Seine Amtszeit war geprägt von einer Mischung aus infrastrukturellen Herausforderungen, politischen Zielkonflikten und einer wachsenden Erwartungshaltung der Öffentlichkeit.

Zu seinen Erfolgen zählen die Stabilisierung der DB-Finanzen in den ersten Amtsjahren, die Digitalisierungsoffensive im Fernverkehr und die Internationalisierung von Logistik-Tochter DB Schenker. Auf der anderen Seite werden ihm langanhaltende Probleme bei Pünktlichkeit, Personalplanung und Investitionsmanagement angelastet.

Besonders belastend war der Einbruch der Fahrgastzahlen während der Corona-Pandemie. Trotz umfangreicher staatlicher Hilfen gelang es bisher nicht, die Zuverlässigkeitswerte wieder nachhaltig auf ein Niveau zu bringen, das dem Image der Bahn als Rückgrat des klimafreundlichen Verkehrs gerecht wird.

Wirtschaftliche Lage: Zahlen, die Druck machen

Im ersten Halbjahr 2025 verzeichnete die Deutsche Bahn – ohne Sondererträge wie den Verkauf von DB Schenker – einen Nettoverlust von rund 760 Millionen Euro. Die Pünktlichkeit im Fernverkehr lag bei etwa 62 %, deutlich unter den selbst gesteckten Zielen.

Gleichzeitig steigen die Investitionsbedarfe in Netzmodernisierung, Fahrzeugbeschaffung und Digitalisierung. Die Schuldenlast bleibt hoch, und das Ziel, die DB langfristig wirtschaftlich eigenständig aufzustellen, rückt ohne tiefgreifende Reformen in weite Ferne.

Politischer Druck und Erwartungshaltung

Bundesverkehrsminister Schnieder machte bei der Bekanntgabe des Lutz-Abgangs keinen Hehl aus seiner Einschätzung: „Die Lage bei der Bahn ist dramatisch.“ Er forderte einen inhaltlichen, strukturellen und personellen Neuanfang. Dahinter steckt nicht nur die Absicht, die Unternehmenszahlen zu verbessern, sondern auch das Ziel, das Vertrauen der Fahrgäste zurückzugewinnen.

Die politische Erwartungshaltung ist klar: mehr Pünktlichkeit, besserer Service, schnellere Modernisierung des Schienennetzes. Gleichzeitig muss der künftige Vorstand die Balance zwischen staatlichen Vorgaben, Kundeninteressen und betriebswirtschaftlicher Realität finden.

Risiken einer langen Übergangsphase

Eine über Monate unklare Führungssituation birgt Risiken: Strategische Projekte können ins Stocken geraten, Entscheidungsprozesse verlangsamen sich, und das Signal an die Belegschaft ist problematisch. Vor allem in der aktuellen wirtschaftlichen Lage benötigt der Konzern eine klare strategische Ausrichtung.

Auch das Verhältnis zu wichtigen Stakeholdern – Bund, Aufsichtsrat, Investoren und Partnerunternehmen – könnte unter einer verlängerten Vakanz leiden. Je länger die Personalfrage ungeklärt bleibt, desto größer wird der Druck auf den Aufsichtsrat, eine schnelle Lösung zu präsentieren.

Mögliche Szenarien

  • Interne Besetzung: Evelyn Palla übernimmt, bringt operative Erfahrung mit und kennt die internen Strukturen. Vorteil: kurze Einarbeitungszeit, klare Botschaft an die Belegschaft. Nachteil: weniger Signalwirkung nach außen.
  • Externe Spitzenkraft: frischer Blick von außen, möglicherweise mit internationaler Erfahrung. Vorteil: Signal für tiefgreifenden Neuanfang. Nachteil: längere Einarbeitung, höhere politische Abstimmungsbedarfe.
  • Doppellösung: Aufteilung der Vorstandsvorsitzendenrolle auf zwei Personen (CEO & COO), um Managementbreite zu erhöhen. Nachteil: Gefahr von Kompetenzüberschneidungen.

Fazit

Die Deutsche Bahn steht vor einer doppelten Bewährungsprobe: wirtschaftlich und personell. Der Abgang von Richard Lutz markiert das Ende einer Ära, eröffnet aber auch die Chance für einen echten Neuanfang. Ob dieser von innen oder außen kommt, wird in den nächsten Wochen und Monaten entschieden.

Fest steht: Wer auch immer an die Spitze der Bahn rückt, übernimmt einen Konzern, der im Fokus von Politik, Öffentlichkeit und Kunden steht – und dessen Erfolg oder Misserfolg weit über das Unternehmen hinaus Wirkung zeigen wird.

Redaktion wirtschaftsfocus.de

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